Interview mit dem Kannibalen von Rotenburg – Armin Meiwes

Selbstportrait Armin Meiwes

 

(Seit 2009 arbeite ich unter anderem mit Armin Meiwes zusammen, weitere Infos folgen)

1. Teil veröffentlicht: 27.04.2011

2. Teil veröffentlicht: 29.05.2011

 

Es können viele unterschiedliche Ereignisse sein, die einen Menschen in ganz andere Richtungen prägen, als es unserem heutigen Verständnis von Recht, Gesetz und Moral entspricht. Was ist es, dass einen Menschen dazu treibt, ein Lebewesen zu quälen, zu foltern und/oder zu vergewaltigen zu töten oder gar zu verzehren?

 

Kindheit

Viele späteren Mörder, Serienmörder und andere Intensivtäter, erleben in der Kindheit grausame Dinge. Sie wachsen überproportional häufig in einer lieblosen, kalten Familie auf, werden in- oder außerhalb der Familie sexuell missbraucht, gefoltert; teilweise immer wieder vergewaltigt, oft spielen Drogen eine Rolle. Viele der schwer traumatisierten Kinder und Jugendlichen verändern sich, werden zu notorischen Lügnern, isolieren sich von ihrer Umgebung, entwickeln schwere Persönlichkeitsstörungen und beginnen Tiere zu quälen und zu töten, bevor sie den Schritt zum menschlichen Opfer wagen und so selbst vom Opfer zum Täter werden. Über die Parallelen der Täter informierte erstmalig die bis heute häufig zitierte Studie CPRS (Criminal Personality Research Study) des FBI.

 

Der Unterschied

Armin Meiwes unterscheidet sich von diesen Tätern. Er wurde weder physisch noch psychisch gefoltert oder vergewaltigt und quälte auch keine Tiere. Armin Meiwes wirkt im Gespräch normal, keinesfalls „monströs“ oder in irgendeiner Weise bedrohlich. Das mag daran liegen, dass er schlicht gar nicht erst auf die Idee kommen würde, jemanden zu bedrohen oder einem Lebewesen Leid zuzufügen, es sei denn, dieses würde ausdrücklich von einem Masochisten gewünscht. Dieses war auch die Grundvoraussetzung für den kannibalistischen Akt im Jahre 2001, bestimmte Handlungen wurden von ihm gefordert – obwohl sie nicht den Wünschen oder Bedürfnissen von Armin Meiwes entsprachen.

 

Der Seelsorger

Natürlich steht niemandem, auch nicht den anfangs genannten Intensivtätern auf die Stirn geschrieben, welche grausamen Phantasien sie entwickeln und in die Realität umsetzen werden; der Mangel an sozialen Kompetenzen und das vollständige oder teilweise Fehlen von Empathie anderen Lebewesen gegenüber ist jedoch sehr häufig ein früher oder später auffälliges Persönlichkeitsmerkmal. Armin Meiwes hingegen wirkt sympathisch, offen, ehrlich und zugewandt. Seine sozialen Kompetenzen, wurden nicht nur wiederholt von den Gutachtern erwähnt, sondern spiegeln sich auch deutlich im Miteinander mit anderen Häftlingen in der JVA wider. Er ist der Ansprechpartner oder eher der Seelsorger für viele seiner Mithäftlinge – was nicht nur auf einem Mangel an therapeutischen Hilfen basiert.

 

Die Verletzung der Seele

Armin Meiwes wurde in seiner Kindheit traumatisiert, allerdings nicht wie in dem anfangs beschriebenen Ausmaß. Möglicherweise fanden wiederholt sexuelle Missbrauchsakte statt, die Herr Meiwes in seiner Kindheit allerdings als angenehm und natürlich wahrnahm. Ob und inwiefern Armin Meiwes das Opfer sexualisierter Übergriffe wurde, ist retrospektiv nicht mehr zu klären. Armin Meiwes unterscheidet sich von anderen Tätern also erheblich, und das nicht nur bezüglich einer „verhältnismäßig“ bzw. zumindest teilweise intakten Kindheit, die zwar vom schweren Verlust des Vaters geprägt war – er verließ die Familie – jedoch wuchs Armin Meiwes bei einer liebevollen Mutter auf. Ihr starkes Selbstbewusstsein, ihre Kompetenz mit den sich nach der Trennung abrupt verändernden Lebensumständen umzugehen und ihre lebensnotwendige Dominanz prägten Armin Meiwes positiv. Den Verlust des Vaters konnte er allerdings niemals verarbeiten, er war ein ausgesprochenes „Papa-Kind“. Andere Ereignisse, die die Entwicklung einer Störung seiner sexuellen Präferenzen in eine kannibalistisch orientierte Richtung begünstigten, kamen hinzu. Im Verlaufe seiner sich entwickelnden Phantasien, kristallisierte sich heraus, dass er durch die Einverleibung eines Mannes eine immerwährende Bindung herstellen wollte, vermutlich wünschte er durch diesen Akt seinen Vater zu ersetzen. In Teilen veröffentlicht Armin Meiwes diese Phantasien in Form von vier Kurzgeschichten in dem Buch „Serienmörder und Kannibalen in Deutschland“ ( V.F. Sammler Verlag, ISBN 978-3-85365-249-7).

 

Armin Meiwes wollte niemals wieder wie von seinem Vater verlassen werden, er wollte einen Freund, Vertrauten und Bruder für immer in und bei sich behalten. Der kannibalistische Akt war für ihn verbunden mit besonderer Emotionalität – mit Liebe. Liebe und Brutalität schließen sich dem allgemeinen Verständnis nach gegenseitig  aus, so verhält es sich ebenfalls für Armin Meiwes. Die Handlungen die zum Tode des Mannes führten, den er später zum Teil verzehrte, führte er nach dessen Anweisungen durch. Armin Meiwes wurde von ihm als „lasch“ bezeichnet, er war zu „sanft“ und nicht in der Lage, einem Menschen gezielt und aus eigenem Antrieb heraus, Leiden zuzufügen.